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08.11.2020 Kategorie: Bodenstedt-Gemeinde

Predigt 07.11.2020

Schuld

Angeblich sind die Jugendlichen Schuld, dass die Infektionszahlen so stark steigen, weil sie das Feiern nicht lassen.

Oder die Reiserückkehrer, weil sie nicht auf ihren Urlaub verzichten wollten.

So hören wir es diese Tage immer wieder und vielleicht haben wir es auch selbst so behauptet.

Mit Schuldzuweisungen versuchen wir, uns das Leben zu erleichtern, denn, wenn der andere Schuld ist, dann bin ich es nicht. Schuldgefühle zu haben ist unangenehm, schwer auszuhalten. Das versuchen wir zu vermeiden und suchen deshalb schnell einen Sündenbock.

Ich kann es verstehen, wenn Schuldige für das rasante Steigen der Infektionszahlen gesucht werden. Dann habe ich jemanden, auf den ich meine Wut richten kann, den ich für meine Ohnmacht verantwortlich machen kann. So habe ich wenigstens eine kurzzeitige Entlastung, für meine aufgemischten Emotionen - aber zum Guten geändert hat sich: gar nichts.

Ändert meine Schuldzuweisung etwas an der Situation? Nein.

Ändert eine Schuldzuweisung das Verhalten des anderen? Tatsächlich auch nur sehr selten.

Schuldzuweisungen stören und verhindern Kommunikation. Wenn ich jemandem Vorwürfe mache, verhindere ich ein echtes Gespräch. Der Austausch über Gründe für ein Verhalten oder über die Gefühle, die die Pandemie in uns auslöst, ist dann nicht mehr möglich.

Und deshalb machen Schuldzuweisungen nichts besser, sondern eher schlimmer. Denn es ist wahrscheinlich, dass diese die Gesellschaft auseinanderdividieren. Die Jugendlichen gegen die Älteren oder die Heimatverbundenen gegen die Weltenbummler.

Und das gilt es zu verhindern. Was wir brauchen ist gesellschaftlicher Zusammenhalt und nicht das gegeneinander verschiedener Gruppen.

Jesus hat niemals aufgefordert, die Schuld bei anderen zu suchen und ihnen vorzuhalten. Aber er hat oft aufgefordert, vor der eigenen Tür zu kehren:

Was suchst du den Splitter in den Augen deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht.

Keiner ist ohne Schuld. Täglich werden wir schuldig an unseren Mitmenschen, an der Natur, an Gott. Und wir alle könnten auch jemand sein, der das Virus unwissentlich weiterträgt.

Bevor wir anderen die Schuld geben und somit versuchen uns aus der Verantwortung zu stehlen, sollten wir darüber nachdenken, wie wir unseren Teil beitragen können, die Infektionsketten zu unterbrechen. Wir sollten die Möglichkeit nutzen, wahrhaftige Gespräche darüber zu führen wie wir mit unserem Entsetzen, unserer Trauer, unserer Wut und all der anderen Gefühle, die die Pandemie in uns auslöst, umgehen können.

Und wir sollten unser Gebet ernst nehmen: Vergib uns unsere Schuld, wie wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind.

AMEN

Beitrag von Pfarrerin Christine Böhm