Es ist immer schlimm, einen lieben Menschen durch den Tod zu verlieren.
Aber geht schlimmer als schlimm?
Jedes Leben ist anders, jedes Sterben ist anders, jede Trauer wird anders gelebt. Sie alle verbindet heute, dass sie trauern, aber wie sie das jeweils tun, ist ganz unterschiedlich.
Kann also ein Trauerfall schlimmer als schlimm sein?
Ich finde ja. Ohne jemandem seine persönliche Form des Trauerns kleinreden zu wollen, finde ich, dass das Trauern unter Corona-bedingungen noch schlimmer ist.
Ich habe dieses Jahr sehr viele Trauerfeiern gestaltet. Im April mit nur 10 Menschen, die auf dem Friedhof und ohne Nutzung der Kapelle, erlaubt waren, dann waren 20 Personen erlaubt, im Sommer dann wenigstens 50 Personen auf dem Friedhof und die Nutzung der Kapelle von ca 20 Personen.
Und bis heute gilt: Ich gebe den Angehörigen nicht die Hand, umarme niemanden, berühre nicht mal die Schulter. Und viele andere tun dies bei Nachbarn, Bekannten und Freunden auch nicht, um eine mögliche Ansteckung zu vermeiden.
Der Tod bleibt gleich, aber die Möglichkeiten der Anteilnahme hat sich verändert.
Der Trost, der darin liegt, dass andere uns in unserer Trauer stützen durch Berührungen und Umarmungen - fällt weg.
Der Trost, dass viele Menschen zur Beerdigung kommen und somit die Wertschätzung zu dem Verstorbenen und die Verbundenheit mit den Hinterbliebenen ausdrücken - fällt weg.
Das Kaffeetrinken nach der Besetzung, bei dem man Erinnerungen an die verstorbene Person lebendig werden lässt - fällt weg.
Das gemeinsame Singen als Aufstand gegen die Macht des Todes - fällt weg.
All das macht es schwerer, in diesen Zeiten Trost zu finden.
Und doch habe ich die Beerdigungen in den letzten Monaten nicht als trostlos erlebt.
Ich habe dort Trost empfunden, wo Familien besonders nah zusammengerückt sind.
Ich habe dort Trost empfunden, wo neue Formen gefunden wurden, zum Beispiel Trauerfeiern unter Gottes weitem Himmel gefeiert wurden und denke an den Bibelvers:
HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
Ich habe Trost empfunden, wenn die Stille mehr Raum bekam, weil weniger Menschen teilnehmen durften. Denn Stille kann Frieden ausstrahlen und in der Stille findet Gott Raum, uns zu begegnen.
Und: all die Regelungen, Einschränkungen haben mir nicht meinen Glauben genommen. Den Glauben an den menschenfreundlichen Gott, dessen Liebe auch mit dem Tod kein Ende findet.
Es gibt mir Trost zu wissen, dass wir nicht allein sind. Auch wenn wir nur im kleinen Kreis auf dem Friedhof Abschied nehmen können, sind wir doch verbunden mit allen anderen, die an anderen Orten von unserem Verstorbenen Abschied genommen haben, die an ihn oder sie denken, das Grab besuchen, für uns beten.
Und wir sind nicht von Gott verlassen. Sein Versprechen, bei uns zu sein alle Tage bis an der Welt Ende, gilt. Auch in der Coronazeit.
Gott begegnet uns – oft unerwartet und oft auf eine Art, die wir nicht vermuten.
Gott begegnet uns in der Stille, in den berührenden Worten einer Beileidskarte, in der Vergebung von Schuld.
Oder in lauter Musik, einem intensiven Gespräch, einem Gefallen, den uns jemand tut.
Unter Corona müssen wir noch genauer hinsehen und spüren, was uns trägt und was uns Kraft und Trost gibt, da unsere altbewährten Strate-gien zum Teil gerade unmöglich sind.
Viele der Maßnahmen gegen Corona sind schwer auszuhalten und machen uns das Leben und das Trauern schwer. Und doch ist unser Leben nicht trostlos oder gar ohne Kraftquellen.
Es ist immer schlimm, einen lieben Menschen durch den Tod zu verlieren. Aber geht schlimmer als schlimm?
Ja, geht es. Wenn ein Mensch in ein Seniorenheim umziehen muss, in einer Rehaklinik aufgebaut wird oder im Krankenhaus im Sterben liegt, ist das schon schlimm genug. Aber noch schlimmer ist es, wenn die-ser Mensch keinen oder nur sehr wenig Besuch bekommen darf. Es ist schlimm für den Betroffenen, aber auch schlimm für diejenigen, die ihn oder sie lieben. Wer seinen Vater, seine Mutter, seinen Ehepartner nicht einmal besuchen durfte, leidet noch stärker. Wir wollen helfen, wollen Trost geben wenigstens durch unsere Gegenwart und selbst das wurde verwehrt. Das ist grausam und quälend. Es war wohl vernünftig, um Risikogruppen vor dem Virus zu schützen und doch war es auch grausam. Die Vernunft und das Herz führen hier einen Kampf, bei dem es nur Verlierer gibt.
Und trotzdem ist für mich der Glaube, dass niemand jemals ganz allein ist, ein Trost. Wo wir nicht sein können, ist Gott immer noch da. Diese Vorstellung wurde früher oft auf Bildern dargestellt, auf denen gemalt war, wie Engel am Bett von Kindern steht, um zu beschützen, oder am Bett von Kranken, um ihre Schmerzen mitzutragen, sie zu trösten und sie am Ende der Erdenzeit ins Paradies zu geleiten.
Das Sterben und der Tod von uns lieben Menschen ist schlimm. Aber niemals trostlos. AMEN