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06.07.2020 Kategorie: Bodenstedt-Gemeinde

Montagsandacht 06.07.2020

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Die Nachrichten in dieser Woche fand ich besonders schlimm. Bestürzend, erschreckend,  geradezu widerlich. Sexueller Mißbrauch an Kindern, vieltausendfach, gut organisiert übers  Internet. Wie kann man nur? Ist mein erster Gedanke. Und mein zweiter: die sollte man doch alle… naja, hier in der Kirche möchte ich nicht ins Detail gehen. Obwohl ich selbst nicht betroffen bin, möchte ich stellvertretend Rache nehmen für das, was diesen Kindern angetan wird. Ich lege die Zeitung weg und nehme die Bibel in die Hand:

„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
Ist`s möglich, so viel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: ‚Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.’ Vielmehr, wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du ihn zutiefst beschämen. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12, 17-21)

Dieser Text ist eine Zumutung. Für die Missbrauchsopfer noch viel mehr als für mich.

Wie soll das gehen, dem Bösen mit Gutem zu begegnen? Aber immerhin war es auch Paulus bewusst, dass Rachegedanken zum Menschsein dazugehören. Er nimmt die Gefühle der Opfer ernst:  Wut,  Verzweiflung, Zorn, der Wunsch nach Vergeltung.

Aber er mahnt zur Vorsicht, zur Zurückhaltung: Rächt Euch nicht selbst, meine Lieben.

Selbstjustiz ist aus gutem Grund verboten, die Gerichtsbarkeit unterliegt in unserem Land dem Staat. Und Paulus ist überzeugt, die Gerichtsbarkeit unterliegt auch Gott. Er traut Gott nicht nur grenzenlose Liebe, sondern auch die Macht zur Vergeltung zu.

Auch wenn es nicht augenscheinlich ist, dass Gott Täter bestraft, so hoffe ich zumindest, dass Täter ihre gerechte Strafe von Gott erhalten. Wie und wann auch immer.

Paulus warnte vor Rache und Vergeltung und er schlägt eine Alternative zur Selbstjustiz vor:

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Wie soll das gehen? Woher nimmt ein Opfer von Gewalt, Terror oder Mißbrauch diese Kraft? Bin ich selbst in der Lage freundlich und gut zu sein, wo mir übel mitgespielt wird?

Ich kann das oft nicht und gerade deshalb ist es wichtig, dass die Texte der Bibel mich erinnern, dass es auch anders gehen kann.

Ich nehme wieder die Zeitung zur Hand und blättere um: „95jähriger Sally Perel wird für die Ehrenbürgerwürde der Stadt Braunschweig vorgeschlagen.“ Ein Mann, der die Gräueltaten der Nazis überlebt hat und dem es gelungen ist, Hass und Verbitterung zu überwinden. Er setzt sich ein gegen Nationalsozialismus und Rassismus in der Gegenwart. Er setzt sich ein für Versöhnung und ein friedliches und respektvolles Miteinander.

Ich habe ihn reden hören, letztes Jahr bei der Kundgebung gegen den AfD- Bundesparteitag. Mucksmäuschenstill waren 20.000 Menschen, denn seine Worte erreichten die Herzen und die Seelen. Ihm ist es gelungen: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Beitrag von Pfarrerin Christine Böhm